Funktionelle Oberflächen und biofunktionelle Nanostrukturen

Große Kräfte für kleine Partikel:
Die Counterion Release Force als treibende Kraft für die Beschichtung

Hartmut Gliemann, Thomas Koch, Institut für Nanotechnologie, Forschungszentrum Karlsruhe
Matthias Ballauf, IPC 1, Universität Bayreuth
Thomas Schimmel, Institut für Angewandte Physik, Universität Karlsruhe

Einführung

Polymer-Nanopartikel gewinnen als Grundlage für großtechnische Produkte im Bereich von Beschichtungen und Farben, bei der Papierherstellung oder in der Bio- und Medizintechnik mehr und mehr an Bedeutung [1]. Da die meisten Anwendungen auf dem Prinzip der Partikeladsorption auf Oberflächen beruhen, ist es für die Verwendung solcher Partikel in Technik und Wissenschaft notwendig, die Adsorption der Teilchen kontrolliert steuern zu können. Dies kann direkt durch das Maßschneidern der Partikeleigenschaften und indirekt über die Umgebungsbedingungen während der Anwendung erreicht werden (z.B. Ionenstärke der Partikellösung oder Temperatur).

1. Polyelektrolyt-Nanopartikel für die Oberflächenbeschichtung

Eine neue Art von Kern-Schale-Polymerpartikeln sind die so genannten Sphärischen Polyelektrolyt-Bürsten (Spherical Polyelectrolyte Brushes, SPB), deren Adsorptionseigenschaften auf Substraten mittels Rastersondenverfahren untersucht werden können. Die SPB bestehen aus einem Polystyrol-Kern, an dessen Oberfläche Polyelektrolytketten mit defi nierter Länge aufpolymerisiert werden (Bild 1). Je nach Art des verwendeten Monomers können wässrige Suspensionen von Partikeln mit negativ geladenen (anionischen) oder positiv geladenen (kationischen) Bürsten hergestellt und damit die Wechselwirkung der Teilchen beispielsweise mit Oberflächen sehr genau eingestellt werden. Die hier beschriebenen monodispersen Kerne [2] haben einen Durchmesser von 140 nm (anionische SPB) und 90 nm (kationische SPB). Die Polyelektrolyt-Kettenlängen liegen für die suspendierten Partikel bei etwa 100 nm. Das Besondere: Die Ladungen der Polymer-Ketten sind weitgehend durch entsprechende Gegenionen abgeschirmt, so dass die Partikel hinsichtlich ihrer Gesamtladung nahezu neutral sind. Coulomb-Wechselwirkungen zwischen SPB und Oberflächen spielen daher beim Adsorptionsprozess nur eine untergeordnete Rolle.

Bild 1: Schematische Darstellung der Sphärischen Polyelektrolyt-Bürsten, oben Natrium-Polystyrolsulphonat (anionische SPB), unten Poly-(2-(Acryloxy)Ethyl)-Trimethylammonium-Chlorid (kationische SPB)

2. Kontrollierte Landung – das Maßschneidern der Kräfte

Auf Grund des ionischen Charakters der Nanopartikel erwiesen sich ionische Oberflächen als ideale Substrate für Adsorptionsexperimente mittels Rastersondenverfahren [3]. Dazu wurde zunächst ein Tropfen der jeweiligen Suspension auf eine frisch gespaltene Glimmeroberfläche (negativ geladen) aufgebracht, getrocknet und anschließend mittels eines Rasterkraftmikroskops (Atomic Force Microscope, AFM) im Intermittent Contact Modus untersucht [4]. Während die anionischen Partikel eine sehr gleichmäßige Anordnung in einer zweidimensional dichtesten Kugelpackung zeigen (Bild 2a), sind im Falle der kationischen SPB bei gleichen Versuchsparametern netzwerkartige Oberflächenaggregate zu erkennen (Bild 2b).

Bild

Bild 2: AFM-Topographiebilder von (a) anionischen und (b) kationischen Sphärischen Polyelektrolyt-Bürsten nach dem Trocknen der Suspension auf frisch gespaltenem Glimmer.

Diese charakteristischen Adsorptionsmuster geben indirekten Aufschluss über die Wechselwirkung zwischen den Partikeln und der Oberfläche: Die Ausbildung einer dichtesten Kugelpackung spricht dabei eher für eine hohe Mobilität (repulsive Wechselwirkung) der Partikel auf der Oberfläche während des Eintrocknens der Suspension. Im Falle der kationischen Partikel dagegen kann auf eine ungewöhnlich starke attraktive Wechselwirkung mit der Oberfläche geschlossen werden, die sich nicht alleine durch das Wirken von van-der-Waals- oder Coulomb-Kräften erklären lässt. Mittels Rasterkraftmikroskopie ist es möglich, parallel zur Oberflächentopographie auch lokale chemische Kontraste auf Oberflächen abzubilden (Phasenkontrastmethode). Mit selbstentwickelten elektronischen Komponenten konnte die Ursache der starken Attraktion zwischen den kationischen Partikeln und dem Substrat – die auch durch AFM-Messungen in Flüssigkeit bestätigt wurden – aufgeklärt werden: nähert sich ein kationisches Partikel der Glimmeroberfläche und kommt es zu einem ersten Kontakt, so werden die Gegenionen (Chloridionen) der Polyelektrolytketten durch die negativen Oberflächenladungen des Glimmers ersetzt. Umgekehrt substituieren die positiven Kettenladungen die positiven Gegenionen der Glimmeroberfläche (Kaliumionen). Die dadurch frei werdenden Ionen gehen in die Lösung über, wodurch es zu einer Entropieerhöhung des gesamten Systems kommt. Die Entropieerhöhung ist somit die eigentliche Triebkraft der Partikeladsorption im Falle der kationischen SPB.

Dieser Adsorptionsprozess wurde bereits an biologischen Molekülen (z.B. Proteinen, DNA) beobachtet und auch theoretisch behandelt [5]. Er ist in der Literatur unter dem Begriff “Counterion Evaporation“ bekannt, die daraus resultierende Kraft heißt “Counterion Release Force“. Im Rahmen der hier beschriebenen Arbeit konnte mittels der Rastersondentechnik das Resultat eines solchen Prozesses zum ersten Mal an Sphärischen Polyelektrolyt-Bürsten nachgewiesen werden: In Bild 3 ist das Phasenbild von kationischen Partikeln auf Glimmer zu sehen. Die Korona, die die Partikel umgibt, zeigt, dass hier die Oberfläche lokal im Vergleich zum übrigen Substrat modifiziert ist.

Bild

Bild 3: AFM-Phasenkontrastbild von kationischen SPB auf frisch gespaltenem Glimmer. Die Korona (rote Pfeile) ist ein Hinweis auf die ausgebreiteten Polyelektrolyt-Ketten.

Bei der Korona handelt es sich um die Polyelektrolyt-Bürsten, die sich auf der Glimmeroberfläche ausbreiten und für eine stabile Adhäsion der Partikel sorgen. Selbst während des Eintrocknens überkompensiert die Adhäsion die parallel zur Oberfläche wirkenden starken Kapillarkräfte, die versuchen würden, die Partikel lateral zu bewegen.

3. Innovative Ansätze

Die hier vorgestellten Sphärischen Polyelektrolyt- Bürsten zeigen - je nach ihrer Kettenladung - unterschiedliches Adsorptions- und Ordnungsverhalten auf der Glimmeroberfläche. Es ist damit möglich, für bestimmte Anwendungen maßgeschneiderte Polymerlatex-Partikel zu synthetisieren und unter Ausnutzung der Counterion Release Force stabil an Oberflächen zu binden. Im Vergleich zu herkömmlichen Polymerpartikeln, die lediglich eine funktionalisierte Oberfläche besitzen, ist die Polyelektrolythülle der SPB jedoch ihrerseits ein „reaktives Medium“. So können beispielsweise Proteine – ebenfalls über den Mechanismus der Counterion Evaporation – in die Bürsten eingelagert werden. Die SPB stellen damit eine interessante Alternative zur Funktionalisierung von (nano-)strukturierten Oberflächen dar.

Literaturhinweise

  1. D. Distler, Wässrige Polymerdispersionen, Wiley-VCH, New York (1999)
  2. X. Guo, M. Ballauff , Phys. Rev. E, 64, 051406 (2001)
  3. M. Evers, T. Palberg, N. Dingenouts, M. Ballauff, H. Richter, Th. Schimmel, Prog. Colloid Polym. Sci., 115, 307 (2000)
  4. Y. Mei, A. Wittemann, G. Sharma, M. Ballauff, H. Gliemann, Th. Koch, J. Horbach, Th. Schimmel, Macromolecules
    (2003)
  5. C. Fleck, H.H. von Grünberg, Phys. Rev. E, 63, 061804 (2001)