Nanotechnologie – Vorstoß in atomare Dimensionen

Th. Schimmel, Institut für Angewandte Physik

1. Die Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie

Die Nanotechnologie gilt als eine Schlüsseltechnologie für das 21. Jahrhundert. Immer kleinere Strukturen gewinnen eine immer größere technologische und wirtschaftliche Bedeutung. Die Palette der Anwendungen reicht dabei von neuartigen, kratzfesten Autolacken, Katalysatoren und Hochleistungswerkstoffen über medizinische Anwendungen bis zu Datenspeichern und zur Mikro- und Nanoelektronik, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Der rasche Fortschritt der Nanotechnologie in letzter Zeit wird getrieben von zwei wesentlichen Entwicklungen. Zum einen ermöglichen wissenschaftliche Fortschritte die Entwicklung völlig neuer Produkte, Prozesse und Technologien für die industrielle Anwendung. Zum anderen sind weitere Fortschritte in den bestehenden Schlüsseltechnologien zunehmend auf das Verständnis und die Beherrschung funktioneller Strukturen auf der Nanometerskala angewiesen. Immer häufiger sind technologische Fortschritte durch ein mangelndes Verständnis von Strukturen auf der Nanometerskala begrenzt. Hier ist die Forschung gefragt, entsprechendes Know-How zu entwickeln und Lösungen für technologische Fragestellungen und Herausforderungen der Zukunft bereitzustellen. Dabei gilt die Nanotechnologie als eine Querschnittstechnologie, und für eine erfolgreiche Forschung, aber auch für eine effiziente Umsetzung im Bereich der Anwendung ist eine sehr enge Kooperation zwischen den unterschiedlichen Disziplinen erforderlich.

2. Messtechnik für die Nanometerskala

Um erfolgreiche Forschung und Entwicklung im Bereich der Nanotechnologie zu betreiben, ist es jedoch unabdingbar, geeignete Messmethoden zu entwickeln, die es erlauben, solche winzigen Strukturen bis hinab zur Längenskala einzelner Atome messbar und sichtbar zu machen. Ziel ist dabei eine möglichst umfassende Charakterisierung der Nanostrukturen in ihren Eigenschaften. Die Untersuchung von Werkstoffoberflächen und elektronischen Bauelementen auf der Mikrometer- und Nanometerskala ist von zunehmender technischer Bedeutung. Beispiele dafür sind heterogene Werkstoffe, Oberflächenrauhigkeits­messungen oder die Untersuchung von mikro- und nanostrukturierten Systemen, etwa in der Halbleiterindustrie. Dabei gilt es, nicht nur die dreidimensionale Oberflächenstruktur mit hoher Auflösung abzubilden, sondern auch ortsaufgelöst lokale Materialeigenschaften zu untersuchen sowie Materialkontraste, Materialinhomogenitäten und chemische Kontraste zu erkennen.

Dabei stoßen konventionelle Untersuchungsverfahren zunehmend an ihre Grenzen. Hier erlauben es die Rastersondenverfahren, Materialien nicht nur mit einer räumlichen Auflösung bis hinab in den atomaren Bereich zu untersuchen [1-4]. Vielmehr bietet die Kombination unterschiedlicher Messmethoden wie etwa der Rasterkraftmikroskopie, der Elastizitätsmikroskopie sowie der Adhäsions- und der Reibungsmikroskopie in einem Messgerät zugleich die Möglichkeit, simultan unterschiedliche Informationen über die Probenoberfläche ortsaufgelöst mit Auflösungen im Nanometer-Bereich zu erfassen. Neben der Probentopographie können Struktur und Zusammensetzung von heterogenen Werkstoffen wie Polymer Blends und Komposit-Werkstoffen untersucht werden. Chemische Reaktionen können in situ und in Echtzeit verfolgt werden, und geringste chemische Veränderungen an Werkstoffoberflächen lassen sich mit neuen, in unserer Arbeitsgruppe entwickelten Verfahren ortsaufgelöst nachweisen.

Rastersondenverfahren eignen sich jedoch nicht nur zur Untersuchung von Strukturen, Oberflächen und Werkstoffen auf der Nanometerskala. Die idealerweise atomar feinen Abtastspitzen solcher Mikroskope stellen auch hochpräzise Werkzeuge dar, um Oberflächen gezielt zu modifizieren und zu strukturieren [5]. Auf Grund der Feinheit der Spitzen können in einem räumlich sehr eng begrenzten Bereich unter der Spitze extreme Bedingungen erzeugt werden. Wirkt etwa eine Kraft von 100 nN, wie sie problemlos von der Spitze eines Rasterkraftmikroskopes erzeugt werden kann, auf eine Fläche von 10 nm2, so übt die Spitze auf die Probenoberfläche lokal einen Druck von 10 GPa (entspricht 100 kbar oder 100.000 Atmosphären) aus. Befindet sich die Spitze eines Rastertunnelmikroskopes einige Angstrom über der Probenoberfläche und wird zwischen Spitze und Probe eine Spannung von wenigen Volt angelegt, so bedeutet dies lokale elektrische Felder im Bereich von ca. 100 MV/cm. Die resultierenden Stromdichten liegen dabei typischerweise in der Größenordnung von 105 A/cm2. Wie unten noch näher ausgeführt wird, können unter solchen Bedingungen nicht nur atomare Schaltprozesse ausgelöst [6] oder einzelne Atome oder Moleküle bewegt [7], sondern selbst stabile chemische Bindungen mit Hilfe der Spitze aufgebrochen werden.

Im Folgenden sollen zunächst am Beispiel des Rasterkraftmikroskopes das Funktionsprinzip sowie einige wichtige Messmodi erläutert werden. Anschließend wird anhand von ausgewählten Beispielen der Einsatz der Rastersondenmikroskopie in den Bereichen der Nanostrukturierung, der Nanoanalytik und Nano-Materialforschung sowie der Nanotribologie erläutert.

3. Rastersondenmikroskopie: Funktionsprinzip und Messmethoden

Rastersondenmikroskope funktionieren stets nach dem gleichen Prinzip. Eine sehr feine, lokal mit der Probenoberfläche wechselwirkende Meßsonde, die "Spitze" des Rastersondenmikroskopes, tastet die Oberfläche in einem Rasterverfahren Zeile für Zeile ab. In der Regel wird die relative Bewegung zwischen Spitze und Probe über Piezo-Stellelemente realisiert. Die Punkt für Punkt von der Meßsonde aufgenommenen Daten werden als Funktion des Ortes von einem Rechner erfasst und als Farbwert am Monitor angezeigt. Man erhält auf diese Weise eine Art "Landkarte" für die gemessene Größe. Je feiner die verwendete Meßsonde und je lokaler die Wechselwirkung zwischen Spitze und Probe ist, desto höher ist entsprechend die erzielbare Ortsauflösung. Im Falle des Rastertunnel-, des Rasterkraft- und des Lateralkraftmikroskopes etwa lassen sich selbst die einzelnen atomaren Positionen auf der Probenoberfläche auflösen.

Als in der Praxis wohl wichtigster Vertreter der Rastersondenmikroskope soll zunächst das Rasterkraftmikroskop oder AFM (Atomic Force Microscope) vorgestellt werden. Im sog. Kontaktmodus wird eine feine, wenige Mikrometer lange Spitze mit einer typischerweise 50 mm bis 500 mm langen Blattfeder, dem sog. Cantilever, elastisch an die Probenoberfläche gepresst. Bewegt man nun – wie in Abb. 1 skizziert – die Probe in einem Rasterverfahren Zeile für Zeile parallel zur Probenoberfläche, so tastet die Spitze als eine Art atomar feines Profilometer die Probentopographie ab. Die z.B. mit Gold bedampfte Rückseite des Cantilevers (in Abb. 1 die Oberseite) wirkt als Spiegel, der sich bei vertikaler Auslenkung der Spitze verbiegt. Wird nun an der Rückseite des Cantilevers der Strahl eines Diodenlasers reflektiert, liefert die Strahlauslenkung als Funktion des Ortes auf der Probe die Information über die Probentopographie. Mittels einer Zweisegment-Photodiode wird die Auslenkung des Laserstrahles detektiert.

AFM-Schem

Abb. 1: Schematischer Aufbau eines Rasterkraftmikroskopes

Ein entscheidender Vorteil des Rasterkraftmikroskopes besteht jedoch darin, dass man nicht nur die Probentopographie mit höchster Ortsauflösung erfassen kann, sondern dass sich durch Verwendung zusätzlicher Messmodi weitere Eigenschaften der Probenoberfläche ortsaufgelöst erfassen lassen. Bewegt man die Spitze beim Scanvorgang etwa senkrecht zur Cantileverachse über die Probe, so führen Reibungskräfte zwischen Spitze und Probe zu einer Torsion des Cantilevers. Während also die Cantileververbiegung nach wie vor die Information über die Probentopographie liefert, enthält die Torsion des Cantilevers die Reibungsinformation (sog. Reibungs- oder Lateralkraftmikroskopie). Verwendet man als Detektor für die Laserstrahlung statt einer Zweisegment- eine Viersegment-Photodiode, so lassen sich beide Informationen simultan erfassen.

Moduliert man mit Hilfe eines Piezoelementes die vertikale Position der Probe mit kleiner Amplitude und einer Frequenz von einigen Kilohertz um ihre Ruhelage, so lassen sich Informationen über die lokale Steifigkeit der Probenoberfläche gewinnen. An Stellen mit hoher Steifigkeit der Probenoberfläche wird nämlich nahezu die volle Modulations­amplitude von der Probe auf den Cantilever übertragen. Ist die Probenoberfläche weniger steif, deformiert sich nicht nur der Cantilever, sondern auch die Probenoberfläche, und nur ein Teil der Höhenmodulation wird auf den Cantilever übertragen. Aus der dem eigentlichen AFM-Meßsignal überlagerten Modulationsamplitude lassen sich somit Rückschlüsse über die lokale Probensteifigkeit ziehen. Die Technik wird als Elastizitäts- oder Kraftmodulationsmikroskopie bezeichnet.

Daneben sind noch eine ganze Reihe weiterer Eigenschaften der Probenoberfläche mittels Rasterkraftmikroskopie erfassbar. Nähert man etwa an jedem Messpunkt die Spitze bis zum Berührungskontakt an die Probenoberfläche an und zieht sie anschließend wieder bis zum Kontaktabriss zurück, so lassen sich Punkt für Punkt die Adhäsionskräfte bestimmen (Adhäsionsmikroskopie). Bewegt man die Spitze berührungslos über die Oberfläche, so lassen sich elektrische und – bei Verwendung magnetischer Spitzen – auch magnetische Wechselwirkungen ortsaufgelöst abbilden. Lässt man die Spitze dicht über der Probenoberfläche nahe der Resonanzfrequenz des Cantilevers so schwingen, dass die Spitze pro Schwingungszyklus einmal kurz die Probenoberfläche berührt (sog. Intermittent Contact Mode), so lassen sich nicht nur sehr empfindliche Proben abbilden, die im Kontaktmodus auf Grund der zwischen Spitze und Probe wirkenden Reibungskräfte zerstört würden, sondern es lassen sich auch Dämpfungseigenschaften der Probenoberfläche untersuchen.

Durch die Kombination unterschiedlicher Rastersondentechniken ist es möglich, Proben auf der Nanometerskala umfassend zu charakterisieren und – etwa in der Materialforschung – mikroskopische Funktion und makroskopische Eigenschaften zu korrelieren.

4. Materialbearbeitung auf atomarer Skala: Die kleinste Fräsmaschine der Welt

Die kontrollierte Herstellung künstlicher Nanostrukturen ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern auch von hoher technologischer Relevanz. Dabei ist etwa an künftige Datenspeicher mit extrem hohen Speicherdichten oder an Bauelemente für die Nanoelektronik zu denken, aber auch an Verfahren der Materialbearbeitung auf der Nanometerskala. Der Forschung kommen auf diesem Gebiet mehrere Aufgaben zu. Zum einen gilt es, physikalische und chemische Prozesse auf diesen Längenskalen zu verstehen und neue Verfahren zur Herstellung solcher Strukturen zu entwickeln. Zum anderen müssen Funktion und Eigenschaften dieser künstlichen Nanostrukturen untersucht und verstanden werden, um die Basis für zukünftige Technologien zu legen.

Die Spitze eines Rastersondenmikroskopes eignet sich dabei auf Grund ihrer sehr lokalen Spitze-Probe-Wechsel­wirkung sehr gut zur Herstellung neuartiger Nanostrukturen. Vorteil der Strukturierung mit Raster­sondenverfahren ist es dabei, dass man die Spitze als eine Art "Schreib-Lese-Kopf" einsetzen kann: die Spitze kann zunächst als Werkzeug eingesetzt werden, um eine Struktur zu schreiben, und nach erfolgter Strukturierung lässt sich ein und dieselbe Spitze zum Abbilden der erzeugten Struktur verwenden.

n unserer Arbeitsgruppe an der Universität Karlsruhe wurden Verfahren entwickelt, die es bereits jetzt erlauben, modifizierte Rasterkraftmikroskope als CNC-Fräsmaschinen auf der Nanometerskala einzusetzen, um computergestützt winzige Strukturen auf die Oberfläche zu schreiben. Dabei werden unter Ausnutzung lateraler Kräfte von der Größenordnung von ca. 1 mN zwischen AFM-Spitze und Probenoberfläche mechanisch chemische Bindungen aufgebrochen [8-12]. Das Verfahren arbeitet so präzise, dass es möglich ist, in einem Arbeitszyklus einen Materialabtrag von jeweils nur einem einzigen Atomdurchmesser (!) zu erzielen. Auf Grund der hohen Resonanzfrequenz der  verwendeten AFM-Cantilever von typischerweise 60–150 kHz lassen sich dabei problemlos mehr als 50.000 Arbeitszyklen pro Sekunde durchführen. Innerhalb weniger Sekunden kann so rechnergesteuert die vorprogrammierte Struktur an der gewünschten Stelle der Probenoberfläche erzeugt und Sekunden später mit derselben AFM-Spitze abgebildet werden. Abb. 2 zeigt ein Beispiel einer solchen, in das Mineral Glimmer eingefrästen Struktur. Die Breite der erzeugten Linie beträgt ca. 8 nm, was in etwa dem Durchmesser von 25-30 Goldatomen entspricht.

gefräste AFM-Struktur

Abb. 2: Mit der Spitze eines Rasterkraftmikroskopes in Glimmer eingefräste Struktur. Die Linienbreite beträgt nur ca. 8 nm [10, 11, 12].

Ein wesentlicher Vorteil der Rastersondenmikroskopie besteht darin, dass man nicht nur an Luft oder unter Vakuum arbeiten kann, sondern auch unter Flüssigkeit oder in elektrochemischen Zellen. So ist es mit dem Rasterkraftmikroskop zum Beispiel möglich, in situ und in Echtzeit galvanische Prozesse auf der Nanometerskala zu stu­dieren. Eine besondere Herausforderung besteht dabei darin, elektrochemische Prozesse mittels Rasterkraftmikroskopie nicht nur zu beobachten, sondern auch lokal auf der Nanometerskala gezielt zu beeinflussen [13, 14]. Auf diese Weise könnte es zum Bei­spiel möglich werden, feinste Leiterbahnen für die Nanoelelektronik galvanisch abzuscheiden.

Abb. 3 zeigt erste Ergebnisse auf diesem Gebiet. Mit Hilfe einer AFM-Spitze wurde rechnergesteuert in einer elektrochemischen Zelle eine Nanostruktur aus Kupfer erzeugt. Die Struktur in Form einer "Blume" wurde galvanisch aus einer Kupfersulfatlösung auf eine Goldoberfläche abgeschieden. Die Grundidee dieses  Verfahrens beruht auf einer Weiterentwicklung des oben beschriebenen Nanofräsverfahrens. Die Oberfläche des Substrates wird mit der AFM-Spitze durch mechanische Modifizierung aktiviert, so dass eine Kupferabscheidung aus dem Elektrolyten selektiv an den von der AFM-Spitze modifizierten Stellen stattfindet. Die Breite solcher "Nano-Leiterbahnen" aus Kupfer liegt je nach den gewählten Abscheideparametern unter 15 nm. Zur Veranschaulichung: würde man eine Million solcher Kupferdrähte zu einem Bündel zusammenfassen, so hätte dieses Bündel immer noch einen weit geringeren Querschnitt als ein menschliches Haar.

Elektrochemisch abgeschiedene AFM-Struktur

Abb. 3:   AFM-Aufnahme einer mit der Spitze eines Rasterkraftmikroskopes elektrochemisch abgeschiedenen Kupfer-Nanostruktur („Blume“). Die Abscheidung wurde mit der AFM-Spitze lokal aktiviert. Die Linienbreite der Kupferlinie beträgt lediglich ca. 50 nm [14].

4. Nanoanalytik und Nanomaterialforschung: Der Blick in den Nanokosmos

Das Rasterkraftmikroskop ist aber nicht nur das geeignete Instrument, um feinste Strukturen zu erzeugen und die Strukturierungsergebnisse zu überwachen bzw. Funktionsanalysen an solchen Strukturen durchzuführen, beispielsweise beim elektrischen Ladungstransport in Nano-Drähten und -Bauelementen. Das Rasterkraftmikroskop kann auch auf dem Gebiet der Nanomaterialforschung, etwa bei der Entwicklung sog. intelligenter Werkstoffe, eingesetzt werden. Von Interesse sind hier alle Werkstoffe, deren Eigenschaften wesentlich durch Strukturelemente auf der Nanometerskala bestimmt sind. Solche Werkstoffe sind schon heute von großer wirtschaftlicher Bedeutung.

Allerdings ist deren Weiterentwicklung eng verknüpft mit der Entwicklung geeigneter Messtechniken, um solche Strukturen überhaupt untersuchen und quantitativ charakterisieren zu können. Hier spielt die Rasterkraftmikroskopie eine zentrale Rolle. Denn nicht nur die Topographie von Nanostrukturen kann mit solchen Methoden abgetastet werden. Auch elastische, tribologische, elektrische, magnetische oder Adhäsionseigenschaften lassen sich auf diese Weise untersuchen (s.o.). Da unterschiedliche Materialien sich meist auch in ihren physikalischen Eigenschaften, beispielsweise in ihren Reibungskoeffizienten oder in ihrer Elastizität unterscheiden, bieten Messmodi wie Reibungs- oder Elastizitätsmikroskopie den zusätzlichen Vorteil des Materialkontrastes: unterschiedliche Materialien innerhalb eines Werkstoffes lassen sich so mit Ortsauflösung im Nanometerbereich unterscheiden. Als Anwendungsbeispiele seien Polymer Blends, Komposit-Werkstoffe, keramische Materialien oder Verbundwerkstoffe genannt.

Abb. 4 zeigt AFM-Topographiebilder von Polymerlatices nach dem Aufbringen und Trocknen einer Suspension auf einem Glassubstrat [15]. Die Latexpartikel sind wohl geordnet, wobei – abgesehen von einzelnen Fehlstellen -  deutlich die dichteste Kugelpackung der Latexkugeln in der obersten Schicht zu erkennen ist, die sich auch in den unteren Kugellagen fortsetzt. Polymerlatices sind von großer industrieller Bedeutung z.B. durch ihre Verwendung bei der Herstellung lösungsmittelfreier Autolacke, und allein in Deutschland werden jährlich Umsätze in Milliardenhöhe getätigt.

Topographie geordneter Polymerlatices

Abb. 4: Topographie von geordneten Polymerlatices, aufgenommen mit dem Rasterkraftmikroskop [15]. a) In der obersten Schicht ist eine dichteste Kugelpackung mit wenigen lokalen Defekten zu erkennen (Bildfeld: 8 µm x 8 µm). b) Abbildung einer Versetzung, wobei auch tieferliegende Kugelebenen sichtbar sind (Bildfeld: 4 µm x 4 µm).

Abb. 5 zeigt ein weiteres Beispiel für die Analyse von technologisch bedeutsamen Werkstoffen. Die rasterkraftmikroskopischen Aufnahmen zeigen einen Querschnitt von kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff [16]. Links ist die Topographie abgebildet. Die senkrecht zur Bildebene verlaufenden Kohlenstofffasern sind als kreisrunde dunkle Flächen erkennbar. Rechts  daneben ist die mit dem Rasterkraftmikroskop Punkt für Punkt gemessene Adhäsionskraft zwischen Abtastspitze und Werkstoffoberfläche dargestellt. Deutlich heben sich die Faserquerschnitte als Bereiche hoher Adhäsionskraft (helle Bereiche in Abb. 5, rechtes Bild) von der Kohlenstoffmatrix ab. Eine solche ortsaufgelöste Analyse der Werkstoffeigenschaften stellt eine wesentliche Voraussetzung für die gezielte Weiterentwicklung von modernen Hochleistungswerkstoffen dar.

Querschnit durch kohlenstoff-faserverstärkten Verbundwerkstoff

Abb. 5:  Querschnitt durch einen kohlenstofffaserverstärkten Verbundwerkstoff [16]. Mit dem Rasterkraftmikroskop kann man nicht nur die Probentopographie (a), sondern auch lokale Materialeigenschaften wie etwa die Adhäsionskraft (b) ortsaufgelöst abbilden Bildfeld jeweils 19 µm × 19 µm).

Die Beispiele zeigen, wie Materialien und Oberflächen auf der Nanometerskala sowohl hinsichtlich ihrer Topographie als auch hinsichtlich ihrer Zusammensetzung aus den einzelnen Komponenten charakterisiert und wie mit  Rastersondenverfahren lokale Materialeigenschaften mit Ortsauflösung bis in den Nanometerbereich analysiert werden können.

Durch die in Karlsruhe erfolgte Weiterentwicklung der Messverfahren ist es sogar möglich, feinste chemische Veränderungen an Oberflächen im Bereich von weniger als 1% einer Monolage ortsaufgelöst nachzuweisen ("chemischer Kontrast"). Einsatzgebiete für solche Verfahren sind etwa Untersuchungen von chemischen Oberflächenreaktionen, von Korrosion oder von katalytischen Prozessen.

5. Nanotribologie: Wie entsteht Reibung?

Die Frage nach der Entstehung und Vermeidung von Reibung und reibungsbedingtem Verschleiß ist von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Man denke dabei nur an die Entwicklung von verschleißarmen Materialien für Maschinen, Lager und Werkzeuge sowie an Verschleißschutzschichten. Ein zusätzliches Gewicht erhält die Erforschung der Reibung überall dort, wo konventionelle Schmiermittel nicht mehr eingesetzt werden können, etwa in der Mikrotechnik oder in der Festplatte des Computers zwischen der Plattenoberfläche und dem Schreib-Lese-Kopf [17]. Mit Hilfe eines Rasterkraftmikroskopes können die winzigen Auflage-, Adhäsions- und Reibungskräfte zwischen der Abtastspitze des Mikroskops und der Probenoberfläche gemessen werden. Auf diese Weise lässt sich sowohl die Entstehung von Reibung als auch der reibungsbedingte Verschleiß sehr detailliert von der Mikrometerskala bis hinab zur Reibung zwischen einzelnen Atomen und Molekülen untersuchen. Solche Untersuchungen aber bilden die Basis für Verständnis und Entwicklung neuer verschleißarmer und reibungsoptimierter Werkstoffe und Schutzschichten.

Atomare Lateralkraft

Atomare Reibungshysterese

Abb. 6: Untersuchung atomarer Reibungsprozesse mittels Lateralkraftmikroskopie auf Calcit [18]. a) Lateralkraft bei Überqueren von neun atomaren Einheitszellen mit der AFM-Spitze. Deutlich sind die Unstetigkeiten beim Überspringen einzelner Atome erkennbar. b) Atomare Reibungshysterese (gelb unterlegte Fläche). Länge der Scanzeile: 5.5 nm.

Abb. 6 zeigt ein Beispiel für den direkten experimentellen Nachweis atomarer Reibung mit dem Rasterkraftmikroskop. Das Diagramm in Abb. 6a) zeigt die Lateralkraft ("Reibungskraft") zwischen der AFM-Spitze und der Oberfläche (Spaltfläche) eines Calcit-Kristalls während des Abtastprozesses als Funktion des Ortes längs einer Strecke, die zehn atomaren Gitterabständen entspricht. Man erkennt, wie die Lateralkraft periodisch zunächst linear zunimmt und anschließend wieder plötzlich abnimmt. Die Erklärung für dieses Verhalten sind atomare Reibungsprozesse [17-19]: die Lateralkraft steigt zunächst während des Scanvorschubs an, bis ein Schwellwert der Kraft erreicht wird, der erforderlich ist, mit der AFM-Spitze ein Atom der Probenoberfläche zu überqueren. Bei Erreichen dieses Schwellwertes wird die Position der Spitze instabil, die Spitze überquert sprunghaft das Atom und entspannt sich dabei teilweise, so dass die Lateralkraft sprunghaft zurückgeht. Bei diesem Prozess wird potentielle Energie in Wärmeenergie umgewandelt (Reibungsverlust). Untersucht man nun Lateralkraft-Hysteresen zwischen Vorlauf und Rücklauf der Spitze innerhalb einer Scanzeile des Rasterkraftmikroskopes, so stellt die von der Kurve eingeschlossene Fläche (gelb unterlegte Fläche in Abb. 6b) die durch atomare Reibung dissipierte Energie dar. Auf diese Weise können tribologische Elementarprozesse bis hinab zur atomaren Skala quantitativ analysiert werden.

7. Einzelatom-Transistoren – die kleinsten elektrischen Schalter der Welt

Faszinierend erscheint die Perspektive, künftige elektronische Bauelemente auf der Basis einzelner Atome und Moleküle aufzubauen. Solche winzigen Bauelemente hätten nicht nur den Vorteil, dass ihre Eigenschaften durch die Eigenschaften und Anordnung der beteiligten Atome und Moleküle äußerst präzise definiert wären. Sie würden es auch erlauben, sich die Gesetzmäßigkeiten der Quantenmechanik in elektronischen Schaltkreisen zunutze zu machen im Sinne einer „Quanten-Elektronik“.

Einzelatomtransistor

Abb. 7:  Illustration des Funktionsprinzips eines atomaren Schalters [20-23]: Durch das Umklappen der Position eines einzelnen Metall-Atoms(!) wird ein elektrischer Stromkreis geöffnet und geschlossen. Beim Einzelatom-Transistor [20] wird die Position dieses Atoms über die Spannung an einer unabhängigen dritten Elektrode, der Gate-elektrode, kontrolliert.

Hier konnte in unserer Arbeitsgruppe in jüngster Zeit mit der Entwicklung mit der Entwicklung des weltweit ersten atomaren Transistors ein Durchbruch erzielt werden [20-23]. Dabei wird im Falle des Einzelatom-Transistors ein elektrischer Stromkreis durch die kontrollierte und reversible Umlagerung eines einzelnen Metallatoms (!) geöffnet und geschlossen. Schematisch ist dies in Abb. 7 illustriert. Das mit Pfeil gekennzeichnete Atom im Kontakt lässt sich zwischen zwei stabilen Positionen hin- und herschalten. Je nachdem, in welcher Position sich das Atom gerade befindet, ist der Stromkreis geöffnet (oberes Bild von Abb. 7) oder geschlossen (unteres Bild in Abb.7). Wie die Karlsruher Experimente zeigen, lässt sich die Position dieses Atoms nun gezielt durch Anlegen einer kleinen Spannung an eine separate Kontroll-Elektrode oder „Gate“-Elektrode hin-und herschalten. Ein Stromkreis zwischen zwei Elektroden wird also geöffnet und geschlossen je nach Spannung an einer unabhängigen dritten Kontrollelektrode. Damit ist erstmals die Funktion eines Transistors auf atomarer Skala realisiert, eine Basis für die Realisierung logischer Schaltungen auf atomarer Skala (Abb. 8).

Leitwerte des atomaren Transistors

Abb. 8: Messkurven für einen atomaren Transistor [20]: Die obere Kurve zeigt die an die Kontroll-Elektrode oder Gate-Elektrode angelegte Spannung als Funktion der Zeit.. Mit Hilfe dieser Spannung werden kontrolliert die Atome im Kontakt zwischen zwei stabilen Positionen hin- und hergeschaltet und es wird damit ein elektrischer Stromkreis zwischen Source- und Drain-Elektrode geöffnet und geschlossen. Die untere Kurve zeigt den elektrischen Leitwert zwischen Source und Drain als Funktion der Zeit. Jeder Wechsel der Kontrollspannung führt zu einem entsprechenden Schaltprozess im atomaren Transistor. Der Leitwert ist dabei nach den Gesetzen der Quantenmechanik in Einheiten von 2e2/h quantisiert, wobei h das Plancksche Wirkungsquantum darstellt: der atomare Transistor stellt ein Quanten-Bauelement dar, das bei Raumtemperatur funktioniert.

6. Zusammenfassung und Ausblick

Kleinste Strukturen auf der Nanometerskala und bis hinab zu atomaren Dimensionen sind nicht nur von großem wissenschaftlichem Interesse, sondern auch zunehmend von technologischer Bedeutung. Rastersondenmikroskope stellen hier wesentliche Messinstrumente und Werkzeuge für die Untersuchung solcher Strukturen dar. Besondere Bedeutung im Bereich der Nanostrukturierung und Nano-Materialforschung kommt dabei der Rasterkraftmikroskopie zu. Mit den idealerweise atomar feinen Spitzen der Rasterkraftmikroskope lassen sich nicht nur Oberflächen abtasten und Materialien hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften auf der Nanometerskala umfassend untersuchen. Es lassen sich auch Materialkontraste und chemische Kontraste erzielen. Kristallwachstum, chemische und elektrochemische Prozesse lassen sich in situ und in Echtzeit auf der Nanometerskala verfolgen. Die Spitze des Rasterkraftmikroskopes stellt aber gleichzeitig auch ein geeignetes Instrument zur kontrollierten, rechnergesteuerten Herstellung von Nanostrukturen dar, sei es in Form mechanischen Fräsens auf atomarer Skala oder in Form elektrochemischer Abscheidung mittels AFM-Spitze. Nicht zuletzt erlaubt das AFM die quantitative Untersuchung von Wechselwirkungen auf atomarer Skala und kann deshalb einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der mikroskopischen Entstehung von Reibung leisten. Die Rastersondenmikroskopie stellt damit eines der grundlegenden Werkzeuge für Forschung und Entwicklung im Bereich neuartiger Strukturen, Bauelemente und Werkstoffe auf der Nanometerksala dar. Aber auch im Bereich der Nanoelektronik zeichnen sich spannende Entwicklungen ab, die weit über eine bloße weitere Miniaturisierung hinausgehen. Neuartige Effekte treten aufgrund der geringen Abmessungen auf, und quantenmechanische Phänomene werden für kleinste Bauteile relevant. Der kürzlich realisierte Einzelatom-Transistor ist hierfür ein Beispiel.

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