Photolubrikation

Kupplung mit Licht

Haften oder gleiten: Ein Karlsruher Physikprofessor steuert Reibung – mithilfe von Licht.

von Bernd Müller // Fotos: V.Steger für bdw (2)

NUR ACHT EINTRÄGE

– so wenige Links findet Google selten. Aber beim Suchbegriff "Photolubrikation" passen alle Fundstellen auf eine Seite. Auch ungewöhnlich: Alle Links führen zu einem Erfinder: Th. Schimmel. Außerdem tauchen mehrfach die Organisationen Universität Karlsruhe, Landesstiftung Baden- Württemberg und Technologie-Lizenz-Büro Karlsruhe auf. "Da können Sie im Internet auch nichts anderes finden, denn die Erfindung ist ganz neu", klärt Schimmel auf, der mit vollem Vornamen Thomas heißt und Professor für Physik am KIT ist, dem brandneuen Karlsruher Institut für Technologie – ein Zusammenschluss von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe. Die Idee seiner Erfindung ist schnell erklärt: Mittels Licht lassen sich die Reibungseigenschaften von Oberflächen verändern.

Rasterkraftmikroskop
Mit einem Rasterkraftmikroskop analysiert Thomas Schimmel das Reibungsvermögen von Oberflächen im Nanometerbereich.
Kleben und Entkleben mit Licht – darüber haben andere schon nachgedacht, sagt Schimmel. Aber auf die Idee zur Photolubrikation kam zuvor niemand. Schimmel und sein Fachkollege Othmar Marti von der Universität Ulm hatten vor rund vier Jahren die zündende Idee. Beide arbeiteten damals an Projekten zur Reibungsmessung mit dem Rasterkraftmikroskop, das Kräfte zwischen einer feinen Nadel und Oberflächen misst. Schimmels Team hatte ein neues Verfahren entwickelt, bei dem die Abtastspitze schnell oszilliert und das aus leicht unterschiedlichen Kräften Kontraste zwischen Bereichen verschiedener chemischer Beschaffenheit sichtbar macht. Im Umkehrschluss heißt das: Ändert sich die chemische Struktur der Moleküle, ändern sich die Reibungseigenschaften der Oberfläche. Schnell war klar, dass Licht ideal ist zum Steuern dieser Eigenschaften, da es viele Moleküle beeinflusst.

SCHUFTEN FÜR DEN VERSCHLEISS

Damit ließe sich das Reibungsverhalten von Oberflächen endlich steuern, denn Reibung ist Ärgernis und Segen zugleich. Ärgernis, weil nach Schätzungen fünf Prozent der volkswirtschaftlichen Leistung durch reibungsbedingten Verschleiß vernichtet wird – die horrenden Energieverluste noch gar nicht eingerechnet. "Wir alle arbeiten die ersten zweieinhalb Wochen im Jahr nur für den Verschleiß", sagt Schimmel. Andererseits: Bei Bremse und Kupplung ist Reibung ein Segen. Ließe sie sich beliebig schalten oder regeln, wäre das eine technische Revolution.

In der Alltagswelt gibt es etliche Lösungen, um Reibung zu beeinflussen – meist mechanisch durch den Anpressdruck. Zum Beispiel die Kupplung im Auto. Tritt der Fahrer das Kupplungspedal, reduziert sich die Anpresskraft und damit die Reibung. "In der Mikrowelt gibt es aber keine Kupplungspedale", scherzt Schimmel. Dort haben mikromechanische Systeme daher noch Defizite. Zwar gibt es spezielle Anwendungen wie Airbag-Sensoren, doch komplexe Systeme mit vielen Motoren sind Mangelware. Wie die Lösung aussehen könnte, skizziert Schimmel: eine Mikrokupplung, bei der eine Scheibe aus Glas oder transparentem Kunststoff besteht, durch die Licht einer LED auf die Kupplungsscheibe scheint und dort die Reibung ändert. Doch der Erfinder ist vorsichtig: "Die Meldung, wir hätten eine lichtgesteuerte Kupplung entwickelt, wäre verfrüht." Dennoch ist der Physiker begeistert: "Photolubrikation ist klein, schnell, billig – und eröffnet eine neue Welt." Träumen darf man also schon mal. Eine Anwendung wären etwa Schlitten in Maschinen, die mit Licht gezielt abgebremst werden. Die Metallflächen würden mit organischen Molekülen beschichtet, die beispielsweise am freien Ende ein Anhängsel haben und deren Eigenschaften sich beim Bestrahlen mit Licht, etwa aus einer Glasfaser, verändern. So lassen sich bestimmte Beschichtungen schnell von hoher zu geringer Reibung und wieder zurück umschalten.

Photolubrikation
Thomas Schimmel (rechts) und sein Mitarbeiter Markus Moosmann entnehmen Proben aus dem Belichtungsautomat.

SCHON 20 PATENTE IN DER HAND

Schimmel und Marti erkannten das enorme Potenzial früh und taten das, was Wissenschaftler nicht häufig tun: Sie meldeten die Erfindung zum Patent an – noch bevor klar war, wie das Ganze im Detail umgesetzt wird. Sie füllten den Fragebogen zur Erfindungsmeldung aus und schickten ihn an Florian Schwabe vom Technologie-Lizenz-Büro (TLB) in Karlsruhe. Das TLB unterstützt Universitäten und Hochschulen in Baden-Württemberg beim Anmelden von Patenten. Ist der Schutzumfang ausreichend, kann daraus ein Patent entstehen. Die Prüfung fiel positiv aus. "Mir war sofort klar, dass diese Erfindung großes Potenzial hat", sagt Schwabe, selbst Physiker und Innovationsmanager beim TLB. Inzwischen hat ein Patentanwalt die internationale Anmeldung eingereicht. Die Erteilung steht noch aus, das Prüfungsergebnis ist aber vielversprechend. Thomas Schimmel hat bereits rund 20 Patente angemeldet – darunter eines für den kleinsten Transistor der Welt, der nur mit einem Atom einen elektrischen Stromkreis ein- und ausschaltet. Wird die Photolubrikation ein kommerzieller Erfolg, profitieren viele – zuerst die Industrie, die neue Arbeitsplätze schaffen kann. 30 Prozent des Erlöses gehen ans TLB, das die Vermarktung des Patents übernimmt. 40 Prozent erhält die Landesstiftung, die das entscheidende Vorprojekt finanziert hat. Die Landesstiftung investiert die Einnahmen in neue Projekte. "Das ist fair", findet Schimmel, "schließlich bekommen wir dafür Forschungsgelder." Bis die Erfindung die Kosten wieder einspielt – ein internationales Patent kostet rund 70 000 Euro –, wird es aber noch Jahre dauern.

Nun bauen die Teams um Schimmel und Marti Experimente auf, um Reibungseffekte genauer zu studieren. Dazu nutzen sie auch ein selbst entwickeltes Spezial-Rasterkraftmikroskop zur Abbildung chemischer Kontraste mit einem Scanbereich von 0,8 mal 0,8 Millimetern – das größte der Welt. Einen möglichen Industriepartner hat das TLB schon gefunden. Florian Schwabe: "Ein Unternehmen aus der Schmierstoffindustrie hat großes Interesse." Dass die Industrie früh ins Boot geholt wird, findet Schimmel gut: "Wir Wissenschaftler tun, was man nicht planen kann – neue Konzepte und Ideen entwickeln. Das Umsetzen in Produkte kann die Industrie besser."