Der Salvinia-Effekt

Gute Luft unter Wasser

Nanowissenschaftler Thomas Schimmel löst mit Biologen Rätsel um verblüffende Eigenschaften von Schwimmfarn – und weckt Hoffnungen auf eine industrielle Anwendung.

VON MICHAEL RAUHE // FOTOS: KARLSRHEINZ KNOCH; ANDREA FABRY

Großaufnahme Salvinia

Nachdem das Selbstreinigungsprinzip beim Lotus Blatt vor 20 Jahren aufgeklärt wurde, haben Nanowissenschaftler aus Karlsruhe, Bonn und Rostock ein neues Kapitel im Bereich biomimetischer Oberflächen geschrieben: die Entdeckung des Salvinia-Effekts. Der unscheinbare tropische Schwimmfarn kann unter Wasser in seinem Haarkleid eine Luftschicht halten und bleibt dabei völlig trocken. Das technologische Potenzial dieses Effekts sei erheblich, betont Professor Thomas Schimmel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Mit dem Salvinia- Effekt eröffnen sich insbesondere Perspektiven, den Energieverbrauch von Schiffen drastisch zu reduzieren.

Auf einer Tagung in Bad Herrenalb lernten sie sich kennen: Thomas Schimmel, der Experte für kleinste Strukturen vom Institut für Angewandte Physik und dem Institut für Nanotechnologie des KIT, und Professor Wilhelm Barthlott, der Entdecker des Lotuseffekts und international bekannte Bionik-Wissenschaftler vom Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen in Bonn. Ein Treffen mit Folgen: Gemeinsam haben die beiden Forscher die physikalischen Effekte der Lufthaltung beim tropischen Schwimmfarn Salvinia molesta aufzudecken.

Salvinia in SchaleWie die Wissenschaftler herausfanden, vermag die Pflanze mit einem raffinierten Trick unter Wasser die Luft festzuhalten: Die Oberfläche ihrer feinen Blatthärchen ist Wasser abweisend. Dort sitzen winzig kleine Wachskristalle, die ähnlich wie beim Lotuseffekt eine Benetzung der Blattoberfläche verhindern. Hier kommt es aber nicht auf Selbstreinigung an, sondern darauf, auch unter Wasser eine dünne Luftschicht auf der Blattoberfläche zu halten. Wozu dient aber diese geniale Erfindung der Natur?

Wird der Schwimmfarn vom Wind oder einer Ente unter Wasser gedrückt, kann er blitzschnell ein Luftkleid aufbauen und so ein paar Tage unter Wasser überleben. Wie schafft es aber die Pflanze, die Luft im nassen Element nicht entwischen zu lassen? Das Blatt muss nicht nur Stauraum für die Luft bieten, es dürfen auch keine Luftblasen aus dem Haarkleid entweichen. Der Farn muss ja noch atmen können. Das Verblüffende ist, das Salvinia molesta die dünne Luftschicht mühelos 14 Tage unter Wasser "einzusperren" vermag. Für technologische Anwendungen war die Entschlüsselung dieses Effekts von höchstem Interesse. "Aber keiner verstand bisher, wie der Farn das macht", sagt Schimmel. "Bei den bisherigen Versuchen mit künstlichen Oberflächen perlte die Luft meist bereits nach wenigen Minuten aus dem Haarkleid heraus."

Wie Schimmel und Barthlott mit ihren Forscherteams entdeckten, ist die Lösung in der Natur einfach und genial zugleich: Die Oberfläche der einzelnen Härchen ist zwar Wasser abstoßend, ihre Spitzen hingegen sind extrem Wasser liebend – sie halten den Wasserfilm regelrecht fest. Wenn das Wasser sich von den Oberflächenspitzen der Härchen lösen will, weil sich eine Luftblase bildet, bleibt der Wasserfilm an dieser Grenzschicht, wo die Lufthülle endet und der Wasserfilm beginnt, festgeklebt.

Im Labor konnte das Team um Professor Schimmel den Salvinia-Effekt ganz einfach demonstrieren: Die Wasser liebenden Fleckchen der Haarspitzen wurden einfach mit einer Wasser abstoßenden Nanoschicht abgedeckt. Plötzlich war die Pflanze nicht mehr in der Lage Luft festzuhalten. Sobald die künstliche Oberfläche wieder mit Nanoklebepunkten an der Haarspitze versehen wurde, konnte die Pflanze auch wieder eine Luftschicht halten. Es ist dem Team auch gelungen, durch Messungen festzustellen, bei welchem Unterdruck die Luft verloren geht. Ein einzelnes, lebendes Pflanzenhaar chemisch so zu behandeln, dass es biologisch nicht beschädigt wird, sei eine Herausforderung gewesen, so Schimmel – und nur mit sorgfältiger Beobachtung, Kreativität und guter Zusammenarbeit zu bewältigen. Zudem brauchte es eine gute Apparatur: Da es kein Gerät gab, mit dem sich der Effekt an der lebenden Pflanze untersuchen ließ, bauten die Karlsruher eines.

Salvinia klein 1 Salvinia klein 2

Für die Lösung von Umwelt- und insbesondere Klimaproblemen ist die Entdeckung der Karlsruher und Bonner Wissenschaftler sehr bedeutsam. Was die Pflanze zum Atmen braucht, könnte man verwenden, um beispielsweise Oberflächen von Schiffsrümpfen zu beschichten: Luft. Dadurch könnte man die Reibung gegen das Wasser erheblich reduzieren. Schimmel rechnet vor: "Wenn es etwa gelänge, den Energieverbrauch der Schiffe um den Faktor zwei zu verringern, hätte man mehr Energie gespart, als wenn man alle Flugzeuge dieser Welt treibstofffrei fliegen lassen könnte." Ein dauerhaft angelegtes Luftkleid zwischen Schiffsrumpf und Wasser verspreche einen enormen Energie-Einspareffekt. Es würde ihn zudem wundern, so Schimmel, "wenn der Salvinia-Effekt nicht noch andere Anwendungsmöglichkeiten bietet".